von fast nichts

marlene schulz

Von fast nichts


Sie malt Bilder. Bunte Bilder von Frauen. Oder von einer Frau. Die Frauen haben rote Gesichter. Ihr Kopf ist geneigt. Wie bei einer Verbeugung, bei der mit der Hand ein Hut gelupft und wieder aufgesetzt wird. Die Frauen auf ihren Bildern sehen nicht so aus, als würde das jemand für sie tun. Wobei ich mich gerade frage wie jemand aussehen muss, damit jemand anderes den Hut lupft. Je mehr ich darüber nachdenke: Das Hutlupfen hat gar nichts mit dem Aussehen zu tun.
Die Frauen auf den Bildern haben dünne Arme. Sehr dünne, lange Arme. Stricharme. Mit langen, spitzen Fingern. Manche haben eine Krone auf und auf einem Bild hat eine Frau zwei Blumen in der Hand mit langen Stielen und Blütenkelchen, die nach unten zeigen. Blütenkelche, die aussehen wie dreizackige Kronen, von deren Spitzen es in die Erde tropfen würde, wären sie aus Eis oder zähflüssiger Glut. Jede lässt, wie die Frau auf dem Bild, den Kopf hängen.
Auf dem Boden liegen noch zwei dreizackige Blüten mit grünen Stielen. Die Zacken ihrer Kelche gehen in die gleiche Richtung wie die Spitzen sehr vieler roter Dreiecke, die sich wie ein Wandteppich hinter den Blumen und der Frau breit machen. Sie sehen aus wie Patronen, die aus den zwei liegenden Blütendreizacken herausschießen. Wie bei einem Bewegtbild, das für einen Augenblick angehalten wird, um es schnell abzumalen, und dann weiterläuft.
Manche Dreiecke kommen so daher, als würden sie ihre Spitze der Frau in ihren langen, dünnen Arm stechen wollen. Die Frau verdreht die Augen nach oben und ihr Haar hängt dreizackig nach unten. So, als wollten die haarigen Dreizacke die grünen Stiele der Blumen treffen. Vielleicht auch nicht treffen, sondern nur warnen. Wie ein Gib-Acht-Schild. Wie ein gehobener Zeigefinger, drei gehobene Zeigefinger, die nach unten gucken. Das Aufrechte wie abgeknickt.
Sie malt Bilder. Jemand hat gesagt, dass sie auch Geschichten schreibt. Von Abseitigen. Von Menschen, die ab von der Seite sind. Von Frauen und vielleicht auch von Tieren und Kindern und Männern, die einem von der Seite weichen. Die alles dafür tun, von der Seite weichen zu können, bis sie an keiner Seite mehr zu sehen sind, jeder möglichen Seite entwichen sind. Abseitige. Von der Seite ab an die Seite geschüttelt und liegen gelassen.
Sie schreibt kurze Geschichten. Windgeschichten. Windgeschichten sind nicht etwa Geschichten vom Wind. Der Wind kommt in ihnen gar nicht vor. Wobei es nicht schlimm wäre, wenn der Wind vorkommen würde. In Windgeschichten geht alles schnell vorbei. Manchmal ist es in Windgeschichten kaum zum Aushalten. Gar nicht, weil es so schnell vorbeigeht, sondern weil es gar nicht vorbeigehen will, mit dem Wind, der in der Geschichte gemacht wird, und dabei noch nicht mal einer ist. Windgeschichten bringen viel durcheinander. Bringen viel durcheinander, obwohl sie von fast nichts handeln. Von fast nichts.

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