vom acker

marlene schulz

Vom Acker


Die leere Karre zum Feld zu schieben, war Hildes Aufgabe gewesen.
Der Großvater, so nannten ihn alle in der Familie, in der sie ihr Landjahr machte, übernahm die Fuhre zurück, wenn die Säcke und Körbe gefüllt waren: Kirschen, Pflaumen, Kartoffeln, später die Äpfel und jedes Mal das Arbeitsgerät. Zwei Spaten, die Hacken, die Grabegabel, die sie mitnahmen auf den Acker und wieder zurück. Der Großvater versäumte nicht, noch zwei Melkschemel in den Wagen zu packen.
Anfangs hielt sie es für ein Versehen. Der Großvater forderte sie auf, eine Ruhezeit einzunehmen.
„Komm, setz dich, Hilde“, sagte er und legte die flache Hand auf den Sitz des zweiten Schemels, bewegte die ausgestreckten Finger zu einem Klopfen, während er bereits auf dem anderen Schemel Platz genommen hatte.
Hilde schmerzte der Rücken vom Umgraben. Mit ihren fünfzehn Jahren war sie die körperliche Anstrengung, die die Arbeit auf dem Hof mit sich brachte, noch nicht gewohnt. Vielmehr war sie froh über die Unterbrechung, steckte die Grabegabel fest in die Erde, wischte die Hände an der Schürze ab, ging hin zum Großvater, der die Hand auf den Schemel hielt und ließ sich nieder.
„Tut mir leid“, sagte sie, als sie bemerkte, dass sie sich auf die Hand des Alten gesetzt hatte.
Erst als es das dritte Mal passierte, sie wieder auf der Hand saß, die der Großvater zuvor umgedreht haben musste und sie nun befühlte an ihrem Gesäß, sie sich wieder für ihr Ungeschick entschuldigte, beschlich sie der Gedanke, dass etwas nicht recht sein konnte.
Tage vergingen, die Hilde wie Wochen vorkamen. Tage, an denen sie überlegte, wie sie es anstellen könnte.
Dann wusste sie.
Sie saßen alle am Abendbrottisch: der Großvater, die Großmutter, die Schwiegertochter Frau Bormann, die beiden Mägde Katharina und Erika, der hinkende Knecht Friedrich und die drei Kinder Walter, Magdalena und Erich, der Jüngste. Hilde wartete, bis Frau Bormann und die Großmutter ihren Teller Kartoffelsuppe geleert und mit einer Scheibe Brot ausgerieben hatten. Sie legte ihren eigenen Löffel beiseite, nahm einen Schluck Wasser, sah Frau Bormann an und sagte:
„Ich werde nicht mehr mit ihm aufs Feld gehen.“
Jetzt schauten die Mägde und der Knecht auf, hielten inne in ihrem Kauen. Magdalena stupste mit dem Ellbogen ihren älteren Bruder an.
Frau Bormann und die Großmutter wechselten einen langen, wortlosen Blick.

diese seite verwendet cookies. mit dem besuch dieser seite stimmen sie der nutzung von cookies zu. zum datenschutz.