no discussion

marlene schulz

No discussion

In gerader Linie war sie auf mich zugekommen. Es war auf dieser abscheulichen Party vor vierzehn Monaten.
Ihr Weinglas stieß sie an meines. Sie war mir vorher nie begegnet, nicht einmal aufgefallen an diesem Abend.
Sie sagte: Findest du es auch so tödlich hier? Das T spuckte sie beinahe. Ich hatte nur gegrinst, vielleicht sogar ein wenig infantil, pubertär. Ein Jungenlächeln, einem Mädchen zu Gefallen.
Einen Schluck von diesem mittelmäßigen Wein hatte ich genommen und als hätte sie mich gelesen sagte sie: Der Wein. Schrecklich. Und die Salate: Wie aus Eimern gefischt. Die Saucen sind auch absolut einfallslos.
Hast du Lust auf wirklich gutes Essen?, fragte ich und überraschte mich selbst. Beim Hinausgehen stellten wir unsere Weingläser auf einem Tisch ab. Ich glaube, ich hatte mich nicht einmal verabschiedet. Mit meinem Wagen fuhren wir zu mir.
Die halbe Nacht brachte ich zu. Kochte für sie. Rollte Schinken in Pfefferminzblätter, legte hier eine Kleinigkeit auf einen Teller, schnitt dort einen Fächer aus einem Gürkchen, viertelte Cocktailtomaten, zupfte frische Thymianblättchen darüber, versah sie mit Kürbisöl.
Ich habe noch nie in meinem Leben Kürbisöl probiert. Das schmeckt wunderbar, schwärmte sie. Tunkte eine hauchdünne Baguettescheibe in das Öl.
Während sie die Musik auswählte, von dem Wein trank, sich mit nackten Füßen auf meinem Sofa breit machte, bereitete ich ein Hagebuttenmousse zu, arrangierte es auf gehackten Pistazien und hob mit einem Ausstechförmchen Schmetterlinge aus Karottenscheiben.
Schreibst du die Rezepte auf?, fragte sie, als ich ihr den frisch arrangierten Teller reichte.
Nicht mehr so oft wie früher, antwortete ich. Ist mittlerweile alles in meinem Kopf. Nur ab und zu notiere ich noch etwas in mein goldenes Buch.
Wann ist das?
Wenn ich länger am Tüfteln bin oder etwas entdecke, was richtig gut ist.
Zum Beispiel?
Meine Sauce. Gibt’s zu Nudeln. Capellini passen am besten.
Das sind diese superdünnen Spaghetti, oder?
Du kennst dich aus.
Hat die Sauce einen Namen?
Ich zögerte. Sagte schließlich: Sauce Arné.
Oh. A la Chef? De la casa?
Ja, sagte ich, nahm ihr den Teller ab, ging wieder in die Küche. Ich richtete Gemüsetatar auf Basilikumblättern und schälte Radieschen zu Spiralen als sie kam, zum Kühlschrank ging, ihr Weinglas auffüllte.
Und was hat es mit dem goldenen Buch auf sich?
Da schreibe ich Rezepte rein.
Darf ich es mal sehen? Sie nahm sich eine Radieschenspirale.
Klar. Steht da oben im Regal.
Ich gab frischen Kümmel auf das Tatar.
Honey Moon, las sie vor, überflog meine Notizen. Blätterte.
Das Basilikumgrün sah aus wie kleine Schiffchen, auf denen ich das Gemüsetatar bettete.
Cranberry Dream. Klingt gut. Und hier: No discussion. Oh, sehr geheimnisvoll.
Ich verfiel gelegentlich ins Englische, wenn ich die Rezepturen betitelte.
Wie kommst du denn auf solche Namen?
Keine Ahnung. Ich nehme immer das erste, das mir einfällt.
Was ist denn No discussion?
Wirst du nachher sehen, sagte ich, klappte das Buch zu und stellte es zurück auf das Regal. Probier‘ erst mal das, sagte ich.
Sie schloss die Augen und sperrte den Mund auf.
Mhm, wie lecker. Das ist gigantisch gewürzt. Du bist echt genial.
Es war weit nach Mitternacht, als ich gedünstete Fenchelstreifen an Oliveneis unter Veilchenblütenblätterschnee drapierte. Die Blüten holte ich mit meiner Stirnlampe im Dunklen aus dem Garten.
Oliveneis! Arne! Wie kommst du nur auf so etwas?
Fliegt mir einfach so zu, übertrieb ich. Verschwieg, dass ich danach lange gesucht, Rezepte ausprobiert und wieder verworfen hatte.
Vor allem morgens unter der Dusche, sagte ich. Da fällt mir am meisten ein. Ich mache das schon jahrelang. Da spüre ich einfach, was zusammen passt, welche Blüten, welches Gemüse, was zum Dessert.
Du, Arne. Ich will das unbedingt von dir lernen, sagte sie. Legte ihre Hand auf meinen Unterarm. Angeschaut hat sie mich mit ihren Rehaugen.
Vor vierzehn Monaten war das. Von da an trafen wir uns jeden Dienstag. Gingen zusammen einkaufen. Ich führte sie auf dem Markt und in der Stadt an die besten Orte mit den frischesten Sachen, auch die ausgefallensten. Bin rausgefahren mit ihr in den Taunus. Habe ihr gezeigt, wo der Waldmeister wächst, wie er zu verwenden ist. Auch den Bärlauch. Und die Steinpilze. Die Maronen. Gestaunt hat sie. Über all diese wunderbaren, geschmackvollen Genüsse. Wie ein Kind war sie. Naiv. Neugierig. Unbefangen. Auf eine angenehme Art aufgeregt. Ihre Begeisterung steckte mich an.
In jener Nacht hatte ich später noch Fisch püriert, den ich mit orientalischen Gewürzen anreicherte und ein paar Löffel davon in zwei Cognacschwenker verteilte. Auf die Glasränder legte ich ein Kreuz aus Schnittlauchstängeln, die sie später unter ihre ausgerollte Oberlippe zu einem grünen Schnurrbart klemmte.
Eine Creme aus frischen Kräutern und Ziegenkäse schmeckte ich ab, fügte ein paar Tropfen Honig hinzu, gab ihr zu versuchen. Es waren nur Kleinigkeiten über die gesamte Nacht verteilt. Ein Klecks von diesem, ein Hauch davon. Wir aßen im Stehen, mal im Sitzen, mal auf dem Sofa, mal in der Küche. In Gedanken durchforstete ich meine Vorräte. Kreierte. Kombinierte. Dekorierte. Schmeckte im Voraus ab, leckte meine Lippen. Servierte. Eines nach dem anderen.
Auch mit den halbierten Wachteleiern im Capellininest an Sauce Arné entzückte ich sie. Das Kombinat war meine No discussion. An der Sauce hatte ich lange gearbeitet, noch vor ihrer Zeit. Wochen brachte ich zu bis ich sie soweit hatte und die Ingredienzien in meinem Buch verewigte. Irgendwann kommst du groß raus, hatten mir Freunde prophezeit und auf mein goldenes Buch angespielt.
Sauce Arné. Die ist zum Dahinschmelzen, flüsterte sie, als dürfte niemand sie hören. Wie hast du die so hinbekommen?
Geheimnis, sagte ich nach kurzem Schweigen, sprach es französisch und hob das Weinglas, als wollte ich einen Toast ausbringen.
Arne, sagte sie, das E betont, und legte eine Pause ein während sie leicht die Lippen schürzte, den Kopf ein wenig senkte, mich schutzlos anblickte. Das ist himmlisch.
Ich war unermüdlich in dieser ersten Nacht und am Ende, ich weiß nicht mehr, wie spät es geworden war, mischte ich Schokolade, die ich verflüssigt hatte, mit Chili zum Nachtisch. Sie war entzückt und ich, ich fand sie entzückend. Legte als letzten Handgriff eine Blüte auf das scharfe Süß.
Ich war erfüllt von meinem eigenen Können, gefiel mir auf den Fotos, die sie zwischendurch von mir machte mit einer Kamera, die sie wie zufällig aus ihrer großen Tasche gezogen hatte, schon gleich beim Gruß aus der Küche.
Du hast nichts dagegen, oder?, sagte sie, knipste weiter.
Ich hatte keine Einwände. War es gewohnt, kulinarisch zu verzaubern.
Die Fotos meiner Arrangements gelangen ihr ausgesprochen gut. Ich spürte ihre Leidenschaft beim Fotografieren. Ganz so, wie auch ich nicht zu bremsen war, in der Küche zu hantieren, stellte sie die Kamera ein, belichtete von unterschiedlichen Seiten, wandte sich ganz dem Objekt zu, ging nah heran, brachte Kleinigkeiten groß heraus.
Zwischendurch tranken wir Wein, lachten, erzählten Geschichten. Wenn sie lachte, warf sie den Kopf nach hinten, schüttelte die langen Haare. Wir tranken und tranken und am Ende waren es drei Flaschen Jacques Blanc. Gewundert hatte ich mich, wie viel sie vertragen konnte. Für eine Frau.
Dienstags brachte sie immer den Wein mit, der so gut passte, als hätten wir uns abgesprochen und verloren doch kein Wort darüber.
Sie fotografierte jedes Detail, stellte sich zum Spaß hinter die Anrichte, band sich meine rote Schürze um den Bauch, lichtete sich mit dem Selbstauslöser ab, richtete die Kamera zwischendurch auf mich, wie ich die Sauce abschmeckte, als wäre ich nur zum Probieren in der Küche gestanden.
Ich hatte es nicht gleich bemerkt. Erst als sie dienstags immer seltener Zeit hatte und schließlich gar nicht mehr kam und ich irgendwann danach suchte. Da erst fiel es mir auf. Das goldene Buch. Weg.
Heute früh sah ich es wieder.
Das ganze Schaufenster gepflastert: Nur dieses eine Buch.
Und dieses Plakat – sie, mit roter Schürze.

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