mit dem gesicht zur wand

marlene schulz

Mit dem Gesicht zur Wand


Vor drei Tagen hatten sie mich morgens um fünf angerufen, gesagt, es wäre bald soweit, es wäre Zeit zu kommen. Ich wollte nicht kommen, konnte nicht Nein sagen, dachte, die paar Stunden schaffst du auch noch, meinte mich, hätte auch ihn meinen können, schleppte mich hin. Trödelte absichtlich.
Jetzt, drei Tage später, liegt er immer noch im Bett. Er liegt auf der Seite, auf seiner linken Seite, mit dem Gesicht zur Wand. Die Augen hält er geschlossen. Ich sage hallo und hörst du mich und so etwas wie: ich bin da und brauchst du etwas?
Du antwortest nicht, kannst nicht, vielleicht willst du nicht. Du streckst mir dein Ohr entgegen. Es ist größer geworden, ist gewachsen, ein großer alter Lappen aus dem Haare heraus wachsen. Ich schaue hinein.
Warum konnten wir uns nicht berühren, so wie meine Freundinnen es tun mit ihren Vätern? Wir blieben immer auf Abstand. Gaben uns die Hand zur Begrüßung. Zum Geburtstag und zu Weihnachten wünschten wir uns Besinnliches mit einem verlegenen Blick.
Was muss man tun, wenn der eigene Vater vor einem liegt und stirbt und man nicht die Hand auf den Arm des Vaters legen kann, nicht auf die Stirn, den Rücken. Was macht man da? Die Haare in seinem Ohr angucken, hinhauchen und zugucken, wie sie sich ein wenig bewegen?
Ich kann ihn nicht anfassen. Meine Hand ist wie gelähmt, ein kraftvolles Etwas hält sie zurück.
Es gibt Fotos von ihm und mir. Ich sitze als Kind auf seinem Schoß, er hält seine Arme um meinen Körper und lacht, ich vergrabe meine Hände in seine, lache auch. Es sieht ganz leicht aus. Wie ist das passiert, dass dieses Bild nicht mehr wirklich scheint?
Hörst du mich, frage ich ihn, vielleicht hört er, ich weiß es nicht, vielleicht ist er schon woanders, zumindest auf dem Weg. Hörst du, sage ich nochmal, mache einen Versuch mit meiner Hand, der Vorsatz einer Berührung, bleibe beim Anlauf, ziehe die Hand zurück.
Wie berührt man einen Menschen, wenn man verlernt hat, ihn zu berühren, es nicht mehr fertig bringt, vielleicht nie konnte, nie richtig machte, der es auch nicht konnte, auch verlernte.
Wie berührt man einen Menschen, den man gerne berühren möchte, es sich aber nicht mehr anschickt?
Dein Ohr, bewegte sich das gerade? Vielleicht nur Einbildung, ein Wunsch, dass sich etwas rührt, wenn ich es schon nicht zu Wege bringe.
Wie berührt man einen Menschen, dem man nahe sein will und so fern ist?

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