im hinterhof

marlene schulz

Im Hinterhof

Elfriede Röth, geborene Leininger, ging in den Hinterhof.
Hier war das doch.
Sie trug die braune Hose, dazu die hellblaue Bluse und die Strickweste. Sie hatte Sandalen an, Strümpfe mochte sie nicht. Das Kopftuch hatte sie unter dem Kinn zu einem Knoten gebunden. Im Nachbargarten stellte jemand einen Rasenmäher aus. Elfriedes Nase lief. Immer, wenn das Gras geschnitten wurde. Sie hatte gar kein Taschentuch mit.
Dabei hat die Mutter extra eins gebügelt und rausgelegt. War es nicht das mit dem aufgestickten Schneewittchen?
Sie sah sich um, guckte auf die Häuser. So viele Häuser. Wo kamen die denn alle her auf einmal? Und so viele Fenster. Einige standen offen. Musik. Jemand spielte auf einem Instrument. War das ein Cello?
Ich hatte kein Instrument gespielt, oder doch? Flöte vielleicht? Nein, das konnte nicht sein. Die Eltern hatten dafür gar kein Geld. Mussten das Haus abbezahlen. Wo ist das denn jetzt?
Elfriede schaute die Häuserwände entlang.
Die Eltern sparten sich jeden Pfennig vom Mund ab für das kleine Häuschen und den Ackergrund. Nur manchmal hatte ich Geld bekommen, wenn ich sonntags zum Tanzen in den Goldenen Ochsen wollte mit Anita und … da war doch noch eine dabei. … Erst wollten sie immer mit, die zwei, blieben aber nie lange. Das gefiel denen nicht. Ich konnte nicht genug bekommen vom Tanzen. Die Musik war immer so schön. Und wie sich mein Rock gedreht hat. … Da war einer, oh ja, der konnte es auch gut. Wie hieß der denn noch? … Ach. ... Ich habe bei der Mutter gebettelt, so lange, bis sie mir das Geld gab. Den Vater hätte ich gar nicht erst fragen brauchen.
Hier muss das doch sein.
Mutter? … Mutter? … Bist du da? … Vater? … Hallo? Hallo, Sie da! Wohnen Sie hier? Ja? Kennen Sie … meine Eltern? Leininger? … Nein? Das ist doch die Adolf-Hitler-Straße zwölf, oder? … Hallo? Wieso laufen Sie denn weg? Ich hab Sie doch etwas gefragt. … Dabei sah der Herr so freundlich aus. So kann man sich täuschen. Wie der Weinverkäufer. Der schaute auch erst so nett. Und dann hat er mir doch nichts geben wollen. Er hätte es nur anschreiben brauchen. Habe noch nie jemanden um seinen Verdienst gebracht. Jeder hätte ihm sagen können, dass meine Eltern und ich, dass wir ehrliche Leute sind, schon immer waren.
Horch! Da spielt jemand. … Ist das der Vater? … Spielt der Cello? … Nein, das macht er nicht. Vater hat gar keine Zeit. Der muss doch der Frau Brandt mit den Walnüssen helfen. Wenn er dann heim kommt, wird er ganz schwarze Finger haben. Er muss sie aufsammeln und die Schalen wegmachen. Die Frau Brandt will das so. Dafür bezahlt sie. Da hilft noch einer mit, der gräbt manchmal ein Loch, legt Nüsse rein und wenn es heim geht, die Frau Brandt schon den Lohn ausgegeben hat, da geht er zum Loch und steckt die Nüsse in die eigene Tasche. So hat es der Vater erzählt. Der Mann von der Frau Brandt, der ist im Krieg geblieben. Auch die zwei Buben. Jetzt hat sie nur noch ein Mädchen. Die hat so schöne lange Zöpfe, viel schöner als meine. Zwei dicke, geflochtene Zöpfe hatte ich. Die Mutter hatte gesagt, die soll ich abschneiden. Die würden stören im Landjahr. Dabei hätten die nicht gestört, ich hätte sie ja hochgebunden.
Geweint habe ich, als die Haare fielen. Einen Zopf habe ich aufgehoben, in einer langen Schachtel. Wo ist die denn? Vielleicht hat die Mutter die im Schrank verwahrt. Hinter der Bettwäsche vielleicht. Oder da, wo das Stammbuch liegt. Mutter? Mutter?
Ach, guck mal, das Mädchen an. Was hat das denn da in der Hand? Einen orangenen Ball? Nein, drei sogar. Ach, das sind gar keine Bälle, das sind Orangen. Die könnte im Zirkus auftreten, wie sie die hochschmeißt und auffängt. Die soll bloß aufpassen, dass keine runterfällt. Mit Essen spielt man nicht. Bist du vom Zirkus? Nein?
Mein Vater hat gerne Zirkus geguckt. Der war bei den Turnern. Da hat er immer ganz genau zugesehen, was die an den Ringen zu Wege bringen. Dem Clown hat er gerne zugeguckt. Und gelacht, mein Vater hat immer gelacht. Der ist schon früh verstorben. … Ja, ich bin traurig deswegen. … Die Mutter lebt auch nicht mehr. … Jetzt bin ich ganz alleine. … Hast du sie gekannt? Nein? … Ach, du musst jetzt rein? Schade. Ja, dann lauf, nicht dass die Mutter noch schimpft. Man muss hören, was die Eltern sagen. Und brav sein. Auf Wiedersehen. …Sie sieht ein bisschen meiner Lina ähnlich. Die kam ja ganz auf den Franz raus.
Der Franz, das ist wirklich schlimm mit dem. Dass der nicht die Füße stillhalten kann. Hat der eine von Mexiko geheiratet. Dass er mir das antut, der Lina erst. Nicht einmal hat er nach ihr gefragt. Wenigstens nach ihr. Briefe hat er geschrieben. So viele Briefe. Kein Mensch braucht so viele Briefe mit leeren Versprechungen. Hoffnungen hat er gemacht und dann so etwas. Die Mutter hat Recht behalten. Sie hat es gleich gewusst. Du wirst nicht glücklich mit dem, hat sie gesagt, ihn einen Messerhelden genannt. Wenn ich doch nur gehört hätte. … Eine von Übersee hat er sich genommen. Die Kinder sind morgens früh, um halb sechs schon, aus dem Wald gekommen und haben getanzt. Hochzeit machen ist so schön, haben sie gesungen. Die ganze Straße hat es gehört. Ich habe sie vom Fenster aus gesehen, bin gleich weg hinter dem Vorhang. Nicht, dass mich noch jemand gesehen hätte. Das hätte ich nicht von ihm gedacht. Und ich soll jetzt auf denen ihre Kinder aufpassen. Wie könnte ich das denn? …
Ist das hier nicht die Adolf-Hitler-Straße zwölf?

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