ich tat mir schwer mit ihr

marlene schulz

Ich tat mir schwer mit ihr


Erst hatte ich eine, die mir vertraut, immer um mich herum war, die ich gut teilen konnte mit anderen. Wir verstanden sie, alle, ich verstand sie. Sie machte mir Freude. Manchmal war ich traurig, wegen ihr. Es war gut mit ihr. Eine ganze Zeit lang.
Eines Tages kam eine Neue dazu. Die Neue war anders als die Alte. Wäre jede der beiden eine Landschaft, wäre die Alte reich an Feldern, durch die der Wind weht, Mohnblumen wüchsen zwischen dem Korn, und der Wald, der wäre nah mit seinen Laubbäumen, dazwischen Fichten. Und abgebrochene Äste, die lägen am Boden und manchmal, da würde es regnen für Stunden. In der Neuen wären Häuser, große Häuser, ein Haus am anderen, eine Stadt mit frisch gestrichenen Fassaden und Balkonen und vor den Häusern, da gäbe es breite Straßen mit Baumreihen in gerader Linie. Und auf den Gehsteigen, den Trottoirs, da liefen ordentlich angezogene Menschen mit aufrechtem Gang. Das vor allem. Menschen in Sonntagskleidern. Die Neue war selbst ein Sonntagskleid, und die Alte trug abgetragene Sachen, die schmutzig waren und grob, die kratzten und auf der Haut juckten, Sachen in gedämpften Farben.
Ich tat mir schwer mit der Alten, als ich die Neue kennenlernte. Manchmal verstand ich die Neue nicht, aber das hätte ich nicht zugegeben, niemals. Ich hielt die Alte vor der Neuen versteckt und hatte Angst, dass sie einfach auftauchen könnte, ohne mein Zutun. Dass sie auf einmal da wäre und ich sie nicht mehr loswürde.
Die Neue hatte Ansprüche, war hochnäsig und neugierig und wollte alles ganz genau wissen, alles zur Rede stellen, alles ausbuchstabieren. Niemals ging sie Kompromisse ein. Sie wusste es immer ganz genau, und ich versuchte, es ihr Recht zu machen. Oft scheiterte ich an ihr, doch aufgeben wollte ich sie nicht. Ich wollte zu ihr gehören, mich mit ihr umgeben und tat mir schwer.
Mein eigen wollte ich sie nennen, die Neue. Als hätte es nie eine Alte gegeben. Wollte sein wie sie. Sie und ich, das sollte eins sein, wie schon immer gewesen. Doch die Neue, die ging nur ohne die Alte. Nur sie allein wollte an meiner Seite sein, mich für sich haben.
Da brach ich mit der Alten. Ich machte es ganz allein mit mir aus. Sprach nicht darüber, nicht mit ihr, nur mit mir. Es gab keinen Streit. Mit der Neuen war ich ein anderer Mensch. Ein anderer Mensch, der ich sein wollte.
Es ging schwer, aber immer leichter. Ich verbrachte viel Zeit mit der Neuen. Doch die Alte, die ließ sich nicht vertreiben. Die ging nicht weg. Blieb, wo sie war. Da merkte ich, dass ich gehen musste. Und ich ging. Fort mit der Neuen.
Heute, da begegne ich manchmal der Alten. Ich spreche mit ihr. Sie versteht mich. Immer noch. Versteht mich, obwohl ich ihr die Neue vorgezogen habe. Die Alte weiß, dass ich sie nicht loswerde und sagt das auch. Sie hat Recht und ist mir nicht böse. Und ich, ich schäme mich nicht für sie. Nicht mehr.

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