hinter der holzbank

marlene schulz

Hinter der Holzbank


Loisl Hutter saß auf der Holzbank. Von der Blautanne wehte ein wenig Neuschnee zu ihm herunter und rieselte auf sein ergrautes Haar. Seine Hände waren von der Kälte gerötet, er hatte vergessen, die Handschuhe einzustecken.
Der Weg hier herauf war beschwerlich gewesen. Ein paar Mal war er ausgerutscht trotz der beiden Stöcke, die er nahm, wenn es hoch ging in den Wald.
Er kam gerne zur Blautanne, manchmal, wenn er oben ankam, roch es so, als wäre sie da gewesen, wie früher, wenn sie einen Tropfen Rosenwasser aufgetragen hatte. Das mit der Anna ging jetzt ins siebenunddreißigste Jahr.
Loisl zog den Reißverschluss seiner Jacke soweit nach unten, bis er in die Innentasche greifen und die Fotos herausziehen konnte. Das erste zeigte Anna in jungen Jahren beim Heuwenden, das Kopftuch verdeckte ihre Haare. Erst hatte sie geschimpft, wie er sie bei der Arbeit fotografieren wollte und dann doch gelacht. Das Grübchen auf ihrer rechten Wange war gut zu sehen. Manchmal half sie mit auf dem Bauernhof ihrer Freundin Irmela und deren Mann. Die hatten Kühe und Schweine im Stall, dazu Hühner und zwei Ziegen. Anna war gerne draußen und half, wenn die Arbeit auf dem Hof überhandnahm.
Auf dem zweiten Foto stand sie neben der Blautanne, die Loisl mit ihr gemeinsam eine Woche nach ihrer Hochzeit gepflanzt hatte, eine Hand auf der Holzbank, die andere ausgestreckt am Haaransatz. Das war im Herbst gewesen, im Oktober, die Sonne hatte geblendet. Sie waren mehr hochgerannt als gelaufen mit dem jungen Baum auf der Karre, konnten es kaum erwarten. Loisl hatte die Backstube schnell ausgekehrt und rasch noch die Bodenfliesen feucht gewischt, dann waren sie raufgegangen den schmalen Weg hoch, links der Wald und rechts die große Wiese. Die Holzbank hatten die Freunde zur Hochzeit geschenkt und da oben aufgestellt, damit sie von dort runter ins Tal gucken konnten und über die Hügel ringsherum.
Der wird uns überdauern, hatte Anna zu Loisl gesagt, als sie die Erde ausgehoben und den Baum eingepflanzt hatten. Recht hatte sie behalten.
Das dritte Bild zeigte sie im Badeanzug, wie sie in den Waldsee springt. Sie hatte Loisl mit dem Fotoapparat gar nicht bemerkt. Auf dem Wasser liegt ein breiter Teppich rosa blühender Seerosen in schwarz-weiß. Die halten sich nicht in der Vase hatte Anna gesagt, wenn Loisl versucht war, ihr eine für daheim zu pflücken.
Das letzte Foto zeigt sie beide, wie sie auf der Holzbank sitzen, den Weidenkorb neben Anna mit ein paar Scheiben vom frisch gebackenen Brot bestrichen mit Butter und Salz, dazu noch ein Stück Käse auf die Hand, zwei kleine Gläser und den selbstgemachten Kräuterschnaps von der Anna mit dem Wermutkraut, der Pfefferminze, dem Löwenzahn, Blutwurz und Bitterklee, auch Enzianwurzeln machte sie dazu und die Schale von einer Zitrone, die durfte nicht fehlen. Mit dem Korb hoch zur Bank unter die Blautanne, das hatten sie oft gemacht zusammen an Sonnabenden und auch werktags, wenn die Arbeit getan war. Das Foto hatte Irmela gemacht, die mit dem Traktor vorbeigefahren kam an diesem Tag. Sie hatten sie zu sich gewunken, sie gebeten, das Foto zu schießen. Sie war nicht geblieben, konnte nicht, musste nach einer entlaufenen Kuh sehen bevor es dunkelte. Das Bild von ihnen beiden war in der Mitte durchtrennt gewesen. Der Riss ging rechts an Anna und links an Loisl vorbei. Er hatte sie wieder zusammengeklebt. Es hatte auf seinem Nachtschränkchen gelegen als er am Abend ihres Verschwindens kraftlos ins Bett gefallen war und doch nicht schlafen konnte.
Überall hatte er nach Anna gesucht, sie gerufen, bei den Nachbarn geklingelt, im Laden nach ihr gefragt, im Wirtshaus, beim Metzger, im Turnverein, bei den Landfrauen, war mit dem Fahrrad den Weg hoch zur Holzbank gefahren, war oben atemlos stehen geblieben, hatte sich gesammelt und schließlich nach ihr gerufen, ins Tal gebrüllt: Anna, wo bist du? Anna. Anna. Und als die Kraft ihn verließ, mehr zu sich selbst: Wo bist du denn bloß?
Am nächsten Tag hatte er weitergesucht, auch die Feuerwehr und die Polizei, die Leute im Dorf hatten geholfen. Jemand wollte sie in der Stadt gesehen und sie wieder aus den Augen verloren haben, da wäre ein Mann bei ihr gewesen oder war es vielleicht eine Frau, vielleicht war sie doch alleine? Die Irmela hatte auch nicht gewusst, wo sie hin ist, die Anna. Siebenunddreißig Jahre ist das jetzt her, bis heute kein Zeichen. Das letzte war das zerrissene Bild.
Loisl blickte vom Foto auf, er schaute rechts hinter die Bank und links. Jetzt roch er sie wieder.

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