die briefe

marlene schulz

Die Briefe


Er lag im Keller, die rehbraunen Handschuhe an, die ich ihm vor Jahren gekauft hatte, mit Löchern über den Handknöcheln. In seiner Jackentasche steckten meine Briefe mit breitem Gummi zusammengehalten.
Ich hatte angefangen, ihm zu schreiben, nachdem ich unsere Beziehung für beendet erklären musste. Danach konnte ich ihn nicht mehr sehen, nicht weil ich seiner überdrüssig geworden wäre, nein, nicht deswegen. Der Schmerz hätte mir die Tränen in die Augen getrieben, die Fassungslosigkeit über dieses Ende. Ich wollte nicht weinen, nicht mehr und nicht vor ihm. Ihm war es nicht anders ergangen, das wusste ich. Er war einverstanden, dass wir uns schrieben, nachdem er sich wochenlang hinter seinem Schweigen versteckt gehalten hatte. Er mailte: Ich vermisse dich. Du bist eine wunderbare Frau. Ich kann mir nicht verzeihen, dass ich einem Menschen, der mir so viel bedeutet, so wehgetan habe. Das wollte ich niemals, niemals war das meine Absicht gewesen. Und er fragte: Glaubst du, wir können irgendwann einen entspannten, schmerzfreien Kontakt haben?
Ich überlegte, ob ich darauf wirklich antworten wollte. Nach ein paar Tagen schrieb ich: Wozu?
Ja wozu, wozu?, schrieb er zurück. Ich will den Kontakt zu dir nicht verlieren, will wissen, wie es dir geht, am allerliebsten möchte ich in deiner Nähe sein und wenn du mich nicht sehen möchtest, darf ich dann wenigstens ab und zu vorbeikommen, um mich ein wenig in deinem Keller aufzuhalten? Ich meine es ernst. Dein Schlüsselversteck kenne ich ja.
Ich holte sofort den Schlüssel aus dem Kastanienschüttler, der am Geräteschuppen hing, verwahrte ihn an einem anderen Ort. Nach ein paar Wochen und einigen Briefen später, legte ich ihn wieder zurück. Inzwischen hatten wir uns darauf verständigt, dass ein Wiedersehen für uns beide nicht in Frage kam, nicht jetzt. Vielleicht nie wieder, zog ich in Erwägung. Schreiben, das war möglich.
Er schrieb E-Mails, schrieb lange Texte, ließ mich wissen, wo er gerade saß, zuhause auf seinem Sofa, alleine in seinem Bett mit einer Tasse Kaffee, an seinem langen Esstisch, die Bücher zur Seite geräumt, leise Musik im Hintergrund. Er hatte sich wieder Zeit für mich genommen, schrieb: Ich sehne mich nach dir. Es tut immer noch schrecklich weh. Ich kann mir nicht vorstellen, einmal nicht mehr zu wissen, wie es dir geht. Was machst du? Wie geht es dir?
Ich schrieb ihm Briefe, lange Briefe, schickte sie mit der Post. Schrieb, was mich beschäftigte, wenn ich an ihn und mich dachte, an die gemeinsame Zeit und warum es zu Ende gehen musste mit uns, weshalb ich nicht mehr konnte, nicht mehr einfach so weitermachen wollte. Was ich machte, wie es mir ging, schrieb ich nicht. Diese Fragen ignorierte ich, wollte ihn an meinem Täglichen nicht teilhaben lassen.
Der Keller hatte einen separaten Eingang, über den der Rest des Hauses nicht zugänglich war.
Er schrieb: Ich möchte so gerne in deiner Nähe sein, nur für eine Stunde, eine halbe, wir müssen uns nicht sehen, nur deine Nähe möchte ich spüren. Bitte.
Auch wenn ich ihn anklagte mit meinen Zeilen, Dinge schrieb, die seinen Schmerz befördern mussten, er schrieb wieder: Lass mich wenigstens ein paar Minuten in deinem Keller sein. Ich verspreche dir, wir werden uns nicht sehen.
Ich stellte mir vor, wie er meinen Keller betrat, eine der beiden Gartenliegen aufklappte, auf denen wir an Sommersonntagen draußen nebeneinander gelegen hatten, lasen, manchmal unsere Hände berührten, einschliefen, aufwachten und in der Dämmerung in den Himmel guckten. Stellte mir vor, wie er sich auf die Liege legte, aus dem vergitterten Fenster sah als wäre er gefangen in einer Zelle in meinem Haus. Ich gestehe, seine Demut linderte meinen Schmerz, entfremdete mir diesen Mann. Ich schrieb ihm: Okay. Aber nur in den Keller. Ich werde dich nicht ins Haus lassen, versuche es erst gar nicht.
Ich danke dir sehr, schrieb er zurück.
Ich bekam den Moment nicht mit, wenn er kam, sich gerade aufhielt, entdeckte meist, nachdem ich vorher nachgesehen hatte, ob der Schlüssel in seinem Versteck lag, ein paar Zeilen von ihm. Er schrieb Erinnerungen auf bunte Zettel. Weißt du noch … Manchmal legte ich ihm einen Brief von mir auf die Liege.
Als ich ihn am Donnerstagfrüh im Keller entdeckte, die rehbraunen Handschuhe an, lag er tot auf der Liege, meine Briefe in seiner Jackentasche, zusammengehalten von einem roten Gummi.

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